16. Die drei Hunde
Ludwig Bechstein
Ein Schäfer hinterließ seinen beiden Kindern, einem Sohn und einer Tochter, nichts als drei Schafe und ein Häuschen, und sprach auf seinem Todtenbette: „Theilt euch geschwisterlich darein, daß nicht Hader und Zank zwischen euch entstehe.“ Als der Schäfer nun gestorben war, fragte der Bruder die Schwester, welches sie lieber wolle, die Schafe oder das Häuschen? Und als sie das Häuschen wählte, sagte er: „So nehm‘ ich die Schafe und gehe in die weite Welt: es hat schon mancher sein Glück gefunden und ich bin ein Sonntagskind.“
Er ging darauf mit seinem Erbtheil fort, das Glück wollte ihm jedoch lange nicht begegnen. Einst saß er recht verdrießlich an einem Kreuzweg, ungewiß, wohin er sich wenden wollte; auf einmal sah er einen Mann neben sich, der hatte drei starke schwarze Hunde, von denen der Eine immer größer als der Andere war. „Ei, junger Gesell,“ sagte der Mann, „Ihr habt da drei schöne Schafe. Wißt Ihr was, gebt mir die Schafe, ich will Euch meine Hunde dafür geben.“ Trotz seiner Traurigkeit mußte Jener lachen. „Was soll ich mit Euern Hunden thun?“ fragte er; „meine Schafe ernähren sich selbst, die Hunde aber wollen gefüttert sein.“ – „Meine Hunde sind von absonderlicher Art,“ antwortete der Fremde; sie ernähren Euch, statt Ihr sie, und werden Euer Glück machen. Der Kleinere da heißt „bring Speisen,“ der Zweite „zerreiße‘n,“ und der große Starke „brich Stahl und Eisen.“ Der Schäfer ließ sich endlich beschwatzen und gab seine Schafe hin. Um die Eigenschaft seiner Hunde zu prüfen, sprach er: „Bring Speisen!“ und alsbald lief der Eine der Hunde fort und kam zurück mit einem großen Korb voll der herrlichsten Speisen. Den Schäfer gereute nun der Tausch nicht; er ließ sich‘s wohl sein und zog lange im Lande umher.
Einst begegnete ihm ein Wagen mit zwei Pferden bespannt und ganz mit schwarzen Trauerfloren behangen; selbst die Pferde waren mit schwarzen Decken bekleidet und auch der Kutscher war schwarz angethan. In dem Wagen saß ein wunderschönes Mädchen, in einem schwarzen Gewande, das weinte bitterlich. Die Pferde trabten traurig und langsam und hingen die Köpfe. „Kutscher, was bedeutet das ?“ fragte der Schäfer. Der Kutscher antwortete unwirsch, Jener aber ließ nicht nach zu fragen, bis der Kutscher erzählte, es hause ein großer Drache in der Gegend, dem habe man, um sich vor seinen Verwüstungen zu sichern, eine Jungfrau als jährlichen Tribut versprechen müssen, die er mit Haut und Haar verschlinge. Das Loos entscheide allemal unter den vierzehnjährigen Jungfrauen und dießmal habe es die Königstochter betroffen. Darüber sei der König und das ganze Land in tiefster Betrübniß und doch müsse der Drache sein Opfer erhalten. Der Schäfer fühlte Mitleid mit dem jungen schönen Mädchen und folgte dem Wagen. Dieser hielt endlich an einem hohen Berg. Die Jungfrau stieg aus und schritt traurig und langsam ihrem schrecklichen Schicksal entgegen. Der Kutscher sah nun, daß der fremde Mann ihr folgen wollte, und warnte ihn, der Schäfer ließ sich jedoch nicht abwendig machen. Als sie die Hälfte des Berges erstiegen hatten; kam vom Gipfel herab ein schreckliches Unthier mit einem Schuppenleib, Flügeln und ungeheuere Krallen an den Füßen; aus seinem Rachen loderte ein glühender Schwefelstrom und schon wollte es sich auf seine Beute stürzen, da rief der Schäfer: „Zerreiße‘n!“ und der zweite seiner Hunde stürzte sich auf den Drachen, biß sich in der Weiche desselben fest, und setzte ihm so zu, daß das Ungeheuer endlich niedersank und sein giftiges Leben aushauchte, der Hund aber fraß ihn völlig auf, daß nichts übrig blieb als ein Paar Zähne; diese steckte der Schäfer zu sich. Die Königstochter war ganz ohnmächtig vor Schreck und vor Freude, der Schäfer erweckte sie wieder zum Leben und nun sank sie ihrem Retter zu Füßen und bat ihn flehentlich, mit zu ihrem Vater zu kommen, der ihn reich belohnen werde. Der Jüngling antwortete, er wolle sich erst in der Welt umsehen, nach drei Jahren aber wiederkommen. Und bei diesem Entschluß blieb er. Die Jungfrau setzte sich wieder in den Wagen und der Schäfer ging eines andern Weges fort.
Der Kutscher aber war auf böse Gedanken gekommen. Als sie über eine Brücke fuhren, unter der ein großer Strom floß, hielt er still, wandte sich zur Königstochter und sprach: „Euer Retter ist fort und begehrt Eures Dankes nicht. Es wäre schön von Euch, wenn Ihr einen armen Menschen glücklich machtet. Saget deßhalb Eurem Vater, daß ich den Drachen umgebracht habe; wollt Ihr aber das nicht; so werf ich Euch hier in den Strom und Niemand wird nach Euch fragen, denn es heißt, der Drache habe Euch verschlungen.“ Die Jungfrau wehklagte und flehte, aber vergeblich; sie mußte endlich schwören, den Kutscher für ihren Retter auszugeben und keiner Seele das Geheimniß zu verrathen. So fuhren sie in die Stadt zurück, wo Alles außer sich vor Entzücken war; die schwarzen Fahnen wurden von den Thürmen genommen und bunte darauf gesteckt, und der König umarmte mit Freudenthränen seine Tochter und ihren vermeintlichen Retter. „Du hast nicht nur mein Kind, sondern das ganze Land von einer großen Plage errettet,“ sprach er. „Darum ist es auch billig, daß ich Dich königlich belohne. Meine Tochter soll Deine Gemahlin werden; da sie aber noch allzu jung ist, so soll die Hochzeit erst in einem Jahre sein. Der Kutscher dankte, ward prächtig gekleidet, zum Edelmann gemacht und in allen feinen Sitten, die sein nun mehriger Stand erforderte, unterwiesen. Die Königstochter aber erschrak heftig und weinte bitterlich, als sie dies vernahm und wagte doch nicht, ihren Schwur zu brechen. Als das Jahr um war, konnte sie nichts erreichen, als die Frist noch eines Jahres. Auch dies ging zu Ende und sie warf sich dem Vater zu Füßen und bat noch um ein Jahr, denn sie dachte an das Versprechen ihres wirklichen Erretters. Der König konnte ihrem Flehen nicht widerstehen und gewährte ihr die Bitte, mit dem Zusatz jedoch, daß dies die letzte Frist sei, die er ihr gestatte. Wie schnell verrann die Zeit! Der Trauungstag war nun festgesetzt, auf den Thürmen wehten rothe Fahnen und das ganze Volk war im Jubel.
An demselben Tage geschah es, daß ein Fremder mit drei Hunden in die Stadt kam. Der fragte nach der Ursache der allgemeinen Freude und erfuhr, daß die Königstochter eben mit dem Manne vermählt werde, der den schrecklichen Drachen erschlagen. Der Fremde schalt diesen Mann einen Betrüger, der sich mit fremden Federn schmücke. Aber er wurde von der Wache ergriffen und in ein enges Gefängniß mit eisernen Thüren geworfen. Als er nun so auf seinem Strohbündel lag und sein trauriges Geschick überdachte, glaubte er plötzlich draußen das Winseln seiner Hunde zu hören; da dämmerte ein lichter Gedanke in ihm auf. „Brich Stahl und Eisen!“ rief er so laut er konnte und alsbald sah er die Tatzen seines größten Hundes an dem Gitterfenster, durch welches das Tageslicht spärlich in seine Zelle fiel. Das Gitter brach und der Hund sprang in die Zelle und zerbiß die Ketten, mit denen sein Herr gefesselt war; darauf sprang er wieder hinaus und sein Herr folgte ihm. Nun war er zwar frei, aber der Gedanke schmerzte ihn sehr, daß ein Anderer seinen Lohn ärndten solle. Es hungerte ihn auch und er rief seinen Hund an: „Bring Speisen! „ Bald darauf kam der Hund mit einer Serviette voll köstlicher Speisen zurück; in die Serviette war eine Königskrone gestickt.
Der König hatte eben mit seinem ganzen Hofstaat an der Tafel gesessen, als der Hund erschienen war und der brautlichen Jungfrau bittend die Hand geleckt hatte. Mit freudigem Schreck hatte sie den Hund erkannt und ihm die eigene Serviette umgebunden. Sie sah dies als einen Wink des Himmels an, bat den Vater um einige Worte und vertraute ihm das ganze Geheimniß. Der König sandte einen Boten dem Hunde nach, der bald darauf den Fremden in des Königs Kabinet brachte. Der König führte ihn an der Hand in den Saal; der ehemalige Kutscher erblaßte bei seinem Anblick und bat knieend um Gnade. Die Königstochter erkannte den Fremdling als ihren Retter, der sich noch überdies durch die Drachenzähne, die er noch bei sich trug, auswies. Der Kutscher ward in einen tiefen Kerker geworfen und der Schäfer nahm seine Stelle an der Seite der Königstochter ein. Diesmal bat sie nicht um Aufschub der Trauung.
Das junge Ehepaar lebte schon eine geraume Zeit in wonnigem Glück, da gedachte der ehemalige Schäfer seiner armen Schwester und sprach den Wunsch aus, ihr von seinem Glücke mitzutheilen. Er sandte auch einen Wagen fort sie zu holen und es dauerte nicht lange, so lag sie an der Brust des Bruders. Da begann einer der Hunde zu sprechen und sagte: „Unsere Zeit ist nun um; Du bedarfst unsrer nicht mehr. Wir blieben nur so lange bei Dir, um zu sehen, ob Du auch im Glück Deine Schwester nicht vergessen würdest.“ Darauf verwandelten sich die Hunde in drei Vögel und verschwanden in den Lüften.